Das Hohe C – kein Problem
LIS SCHENK
Düsseldorfer Hefte, December, 2005
Der Gasttenor der Rheinoper Steven Neil Harrison gibt in allen Aufführungen im Dezember den Helden Aeneas (“Die Trojaner” von Berlioz), eine Haupt- und Glanzrolle (musikalische Leitung John Fiore) – der Amerikaner sprach jetzt mit Lis Schenk über seine Laufbahn
Sportlich-elastischer Gang, helle Jeans, brauner Lederjacke. Ein Mann wie viele andere. Aber es ist kein Jedermanns-Gesicht. Nein, dieses wechselt ständig im Ausdruck. Ja, es singt. Und damit wären wir beim Thema. Steven Neil Harrison aus New York, seit drei Jahren Gastsänger der Deutschen Oper am Rhein, hat sich hier mit seinem besonderen Stimm-Timbre als lyrischer Spinto und seinen darstellerischen Qualitäten schon glänzend eingeführt. So war und ist er auch als Pollione (“Norma”), Edgardo (“Lucia di Lammermoor”), Carmen (“Don José”) und Turridu (“Cavalleria Rusticana”) zu hören. Jetzt geht es also um “Die Trojaner”, eine Oper, die hier am Rhein noch nie zuvor gespielt wurde, die ihn, Harrison, aber regelrecht verfolgt. Denn: Vor seiner Solisten-Zeit war er schon ale Chorsänger in Los Angeles und dann an der New Yorker Metropolitan mit diesem Werk verbunden. “Damals sang Domingo, den ich sehr liebe, den Aeneas”, so Harrison, der vor seinem Gesangsstudium auch Piano und Oboe gelernt hat und sich auch als Pianist bei Konzerten – vorzugsweise mit Beethoven, Bach, Chopin – einbringt. Seine erste Solorolle in New York war 1995 Rodolfo (“La Bohème”), und danach ging es in die Welt, auch nach Taiwan, Hongkong und dann in die europäischen Länder, wie Spanien, Belgien und dann wieder nach New York. Schließliuch nach Düsseldorf/Duisburg. “Hier ist meine zweite Heimat, die erste ist natürlich New York, wo ich geboren bin.”
Dass der Tenor (39) jetzt am Rhein zum ersten Mal in seinem Leben diesen Aeneas singt, freut ihn sehr. “Diese dramatischen Top-Noten und der nuancierte, elegante französische Musikstil kommt meiner Stimme als Spinto sehr entgegen”, sagt er in einer Mischung auf Englisch; Deutsch lernt er noch. Dass er sich einmal bis zum hohen C und auch zum B herauf schwingen muss – “für mich kein Problem”. Und zwischendurch singt er beim Interview einige hohe Parts vor. Schön klingt das. “Ich würde vorläufig nicht Wager singen, obwohl er mich berührt, wie auch Puccini, Verdi und Massenet. Mein Instrument, also meine Stimme, ist nicht dramatisch genug; noch nicht.” Nach Harrisons Meinung ist der größte Aeneas-Sänger weltweit Nicolai Gedda.
Gefühl der Verlassenheit
Über den Charakter des aus Troja entkommenen Helden Aeneas, den die Götter über Karthago nach Italien schicken, und der im November in gefeierten Aufführungen von dem holländischen Tenor Albert Bonnema gesungen wurde, sagt er: “Er ist Kämpfer, Liebhaber, ein Ehrenmann und treu, aber auch gleichzeitig dumm und klug. Mit ihm fühle er sich persönlich sehr verbunden.” und weiter: “Wir lernen von diesen Geschichten von Homer und Vergil viel über die Leiden und Freuden der Menschen. Das ist zum Beispiel das Gefühl der Verlassenheit, das Aeneas und auch Dido erfahren – was literarisch und musikalisch zu den schönsten Momenten der Opernwelt gehört. Das berührt unsere Seelen.” Dido sang im November die bravouröse Jeanne Piland, als Harrisons Partnerin ist im Dezember die bekannte Martha Marques zu hören. “Ich gebe solche wunderbaren Charaktere wie Aeneas am liebsten. Dazu gehören für mich “Werther”, meine Lieblingsrolle, Rodolfe (“La Bohéme”), Radames (“Aida”) und eben auch Aeneas. Diese vier Männer sind meine Heroen.” Unter den rund 25 Rollen, die er beherrscht, sind ihm auch “Andrea Chenier” oder Ricardo (“Ein Maskenball”) von Verdi lieb und vertraut. Gern möchte er auch den “Hoffmann” (“Hoffmanns Erzählungen”) derstellen oder in einer tschechischen Oper singen. Das wird sicher noch kommen.
Wenn Harrison am 29. Dezember seinen letzten Aeneas in Düsseldorf/Duisburg gegeben hat, will er für mehrere Monate nach New York gehen und in den USA mehrmals auftreten, so auch in Baltimore als Rodolfo. Für die nächste Spielzeit 2006/07 kommt er nach Düsseldorf zurück und wird in drei Opern zu hören sein – welche das sind, verrät er noch nicht. Jedenfalls freut er sich auf seine neue Zeit am Rhein. Denn: “Hier in dieser kleinem, aber internationalen Stadt habe ich ein sicheres Lebensgefühl; ich bewundere den Selbst-Respekt der Deutschen, ihren Stolz und ihre Ehrlichkeit. Auch finde ich das deutsche Ensemble-System in den Theatern, wie auch der Rheinoper, sehr sympathisch, weil ich immer von den gleichen Kollegen wie von einer Familie umgeben bin.” Er geht zwar gern ins Kino, aber hätte gern für zu Hause ein “puppy”, also ein Hündchen. Kochen ist ein Lieblingshobby, und an erster Stelle wäre da chinesisches Hähnchen mit Gemüse zu nennen.